In den USA gibt es sie – die Direktwerbung der Pharmaindustrie, die ihre Medikamente bei der Bevölkerung über die verschiedenen Kanäle anpreisen, bewerben darf. In Deutschland ist man da noch ein wenig verschämter. Das HWG (Heilmittelwerbegesetz) sieht Werbung nur unter bestimmten Voraussetzungen vor. Eine Direktwerbung ist (noch) untersagt. Aber mit den USA als ewigem Vorreiter könnte auch diese Praxis in einigen Jahren verändert werden. Und was uns dann erwartet, zeigen die USA heute schon.

Die Direktwerbung wurde dort durch eine Gesetzesänderung in den späten 1990er Jahren ermöglicht. Heute zeigen sich „schon“ die Erfolge dieser Veränderung: Die Werbung führte nicht zu einer Verbesserung der Gesundheitssituation in den Staaten, sondern vermehrte den Umsatz an Verordnungen für solche Medikamente, die die Patienten ein Leben lang einnehmen müssen.

Dagegen gibt es für Krankheiten, die durch eine Medikation relativ schnell beseitigt werden, kaum Fortschritte in Forschung und Entwicklung. So gibt es bislang keine neuen Antibiotika gegen tödliche Infektionen, wie z.B. gegen die Staphylokokken MRSA (methicillinresistenter Staphylococcus aureus), VRE (vancomycinresistenter Enterokokkus) und andere resistente Bakterienstämme, die den Aufenthalt in einem Krankenhaus zu einem russischen Roulette gestalten können. Aber eine Entwicklung von effektiven Antibiotika gegen solche Erreger wäre wenig lukrativ, da nach ein paar wenigen Infusionen oder Tabletten die Notwendigkeit von weiteren Gaben nicht mehr gegeben ist, da der Patient inzwischen wieder gesund ist.

Melody Petersen ist die Autorin von „Our Daily Meds“ (unsere tägliche Medikation). Sie schreibt, dass die Verantwortlichen in der Pharmaindustrie nur wenig Interesse an Medikamenten haben, wie z.B. Antibiotika, die eine Erkrankung heilen können im Vergleich zu solchen, die nur die Symptomatik behandeln.

Die Verkaufsschlager der pharmazeutischen Industrie sind Pillen gegen innere Unruhe, hohe Cholesterinwerte, Bluthochdruck, Diabetes oder Verstopfung. Hier werden die Medikamente täglich genommen, und das über einen langen Zeitraum bis lebenslänglich. Aber leisten können sich diese Art der Medikamente nur Amerikaner (Europäer etc.), die über ein entsprechendes Einkommen verfügen. Für den durchschnittlichen Bewohner der „Dritten Welt“ liegt diese Art der medizinischen Versorgung jenseits seiner finanziellen Möglichkeiten.

Dabei gibt es in diesem Teil der Erde oft dringendere Probleme mit der Gesundheit. Infektionserkrankungen sind hier deutlich häufiger vertreten. So stirbt alle 30 Sekunden ein Kind an Malaria. Aber für die Entwicklung von geeigneten Malariamedikamenten scheint kein besonderes Interesse vorhanden zu sein, da die Zielgruppe marketingtechnisch besonders uninteressant ist: Zum einen haben die da unten sowieso kein Geld, um diese Medikamente zu bezahlen. Und dann zum anderen würden die ja auch noch durch die Behandlung gesund, was dem Gesetz des Gottes des Marketings widerspräche, der verlangt, dass Produkte so „konstruiert“ sind, dass der Kunde sie immer wieder kaufen muss. Kurz: Das Retten von Menschenleben ist ein schlechtes Geschäft.

Nach den schlechten Nachrichten für die Schwellen- und Entwicklungsländer kommt nun die schlechte Nachricht für die Industrienationen bzw. erst einmal für die USA: Denn seit dieser direkten Bewerbung von verkaufsträchtigen Gesundheitspillen mit langer Einnahmedauer hat die Zahl der Verschreibungen dramatisch zugenommen. Zwischen 2001 und 2007 ist die Zahl von Kindern und Erwachsenen, die eine oder gleich mehrere Tabletten für irgendwelche chronische Erkrankungen einnehmen (müssen), um 12 Millionen angestiegen (in den USA). Heute sind schon 25 Prozent der Kinder auf solche Langzeitmedikamente eingestellt.

7 Prozent der Kinder nehmen 2 und mehr Tabletten täglich gegen Langzeitwehwehchen ein. Wie es aussieht, scheinen die Gelder für die Werbung in diesem Segment nicht aus dem Fenster geworfen zu sein…

Wenn man sich einmal die Liste der am meisten verkauften Medikamente anschaut, dann findet man in der Regel Medikamente, die eine lange Zeit eingenommen werden müssen – zumindest wird den Patienten das gesagt. Hier eine kleine Auswahl:

  • Sortis (Cholesterinsenker)
  • Nexium (Protonenpumpenhemmer zur Behandlung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren sowie bei Refluxösophagitis)
  • Plavix (zur Vorbeugung der Bildung von Blutgerinnseln)
  • Advair (Antiasthmatikum)
  • Abilify (ein neues Neuroleptikum gegen Schizophrenie mit besonders vielen Nebenwirkungen)
  • Seroquel (noch ein Neuroleptikum)
  • Singulair (Montelukast – wirkt gegen Asthma und allergische Rhinitis und gleichzeitig schlechter als die bisher eingesetzten inhalativen Kortikoide)
  • Crestor (noch ein Statin gegen Cholesterin und Blutfette)
  • und etliche mehr.

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Im „Idealfall“ dauert die Therapie mit dieser Art von Medikamenten ein Leben lang.

In den USA gibt es zwei Wege, die Bevölkerung lebenslänglich an das eine oder andere Medikament zu binden: Der erste Weg ist, Beschwerden leichter oder mittelschwerer Natur zu dramatisieren. Zum Beispiel können Schmerzen, Unruhe, saures Aufstoßen, Gemütsschwankungen, Migräne usw. mit den entsprechenden Medikamenten symptomatisch behandelt werden.

Sie werden aber im Wiederholungsfall als Ausdruck einer unterschwelligen Erkrankung uminterpretiert, die eine langfristige Behandlung notwendig macht. So hat man nicht mal den einen oder anderen schlechten Tag oder ein Unwohlsein, sondern dies wird dann Ausdruck von ernsten psychologischen Problemen, die „Gott sei Dank“ mit Hilfe von Psychopharmaka angegangen werden können. Leider, leider müssen die Medikamente für die nächsten paar Jahre eingenommen werden, um sicher zu sein…

Der zweite Weg ist die „Erfindung“ von Risikofaktoren für verschiedene Erkrankungen. Da werden Grenzwerte gesetzt, die schlagartig Millionen Menschen zu potentiell gefährlich Erkrankten küren. Um dem aus dem Hut gezauberten Untergangsszenario von zu hohen Cholesterinwerten, Hochdruck, Osteoporose, Diabetes usw. entgegenzutreten, werden keine entsprechenden Ernährungsempfehlungen ausgegeben, sondern Langzeitmedikationen vorgeschlagen, die dann stolz als Prophylaxe ausgegeben werden.

Ich weiß, dass eine gesunde Ernährung die beste Prophylaxe gegen die eben zitierten Leiden ist. Ob die Medikamente, die für diesen Zweck angepriesen werden, auch dieses prophylaktische Potential haben, das weiß kein evidenzbasierter Mensch. Und weil die Betroffenen es auch nicht wissen (und oftmals auch nicht wissen wollen), wollen sie kein Risiko eingehen. Die Patienten haben ja schon genug Risikofaktoren – laut Haus- oder Klinikarzt. So verwundert es nicht, dass weiter brav die Pillchen geschluckt werden – ganz so wie es der Arzt verordnet und so lange er dies verordnet.

Fazit

Man könnte auf die Idee kommen: Die Pharmaindustrie, aber auch Ärzte, könnten ein Interesse an vielen Kranken zu haben – da nur Kranke ihre Dienste benötigen. Ein gesunder Geist und gesunder Körper machen in der Regel einen großen Bogen um beide. Natürlich kenne ich auch Ärzte, die ein wirkliches Verständnis von prophylaktischer Medizin haben und diese auch zur Anwendung bringen. Ich kenne aber auch zahlreiche Patienten, die an ihrem Verhalten nichts ändern wollen und vom Arzt lieber was “Einfaches” (=Tablette) haben wollen.

Der Pharmaindustrie kann das nur Recht sein. Und um auch richtig im Geschäft zu bleiben (kommt mir jedenfalls so vor), unternimmt diese auch die notwendigen Schritte, dass sich daran auch nichts ändert, bzw. Änderungen auch immer zu Gunsten der Industrie erfolgen.

Als Arzt braucht man sich diesem Treiben dre Industrie gar nicht direkt anzuschließen, denn als solcher profitiert er automatisch mit von den Bemühungen. Wieso? Wenn es nur Medikamente gibt, die nur Symptome abstellen, aber die Grunderkrankung nicht antasten, dann hat er Patienten, die immer wieder zu ihm kommen (müssen). Zum schlechten Schluss tritt in diesem Drama dann noch der Bestattungsunternehmer auf die Bühne und ruft aus: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der Dritte!“


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Beitragsbild: pixabay.com – Matvevna