Neue Medikamente müssen (sollten) sehr gründlich getestet werden, das ist klar. Im letzten Schritt sind auch Tests am Menschen nötig. Doch woher nimmt man passende Testpersonen?

Bisher suchen Pharmafirmen mit Plakaten und Inseraten Freiwillige für ihre Testreihen. Für die Patienten gibt es meist etwas Geld und manchmal die vage Hoffnung auf ein neues, wirksames Medikament gegen ihre Beschwerden. Als ich davon das erste Mal hörte, dachte ich das sei ein schlechter Scherz.

Aber ich bin schon zu lange im Geschäft, als dass ich nicht wüsste: das ist Ernst gemeint. Mittlerweile laufen auch schon einige Proteste von Seiten verschiedener Verbände und an der Gesetzesvorlage wird noch “gebastelt”. Ich gebe daher mal meinen bisherigen Kenntnisstand wieder.

Wenn es nach der EU-Kommission geht, wird (möglicherweise) die Suche nach Testpersonen für die Pharmafirmen bald überflüssig werden. Die EU-Kommission diskutiert in der neuen Verordnung, dass alle Patienten in einer Klinik automatisch an dort laufenden Medikamententests teilnehmen, sofern sie nicht ausdrücklich widersprechen.

Wer also für eine Operation oder nach einem Unfall in ein Krankenhaus kommt, findet sich möglicherweise bald in einer Medikamentenstudie wieder, ohne jemals eingewilligt zu haben. Denn Personen, die die Entscheidung nicht  treffen können (weil sie beispielsweise bewusstlos sind), müssten eine entsprechende Verfügung bei sich tragen, um von den Testreihen ausgenommen zu werden.

Noch ist dieses neue Gesetz nicht verabschiedet. Ob es wirklich dazu kommt, bleibt abzuwarten, denn es entspricht nicht der EU-Grundrechte-Charta. Doch wieso denken Politiker dann überhaupt über eine solche Verordnung  nach?

 

Es geht (mal wieder), um das liebe Geld. Genauer gesagt geht es darum, Europa als Pharmastandort „aufzuwerten“. Anders ausgedrückt: Damit soll den Pharmafirmen ein Gefallen getan werden, ungeachtet der gesundheitlichen Folgen, die den Patienten durch nicht ausreichend getestete Medikamente entstehen können.

Es kommt noch dicker: Ein Teil der neuen Verordnung soll die Rolle der Ethik-Kommissionen betreffen. Bisher mussten diese Gremien jede Studie genehmigen, bevor ein Medikament an Menschen getestet werden durfte. In Zukunft müssen sie die Testreihen möglicherweise nur noch unverbindlich prüfen. Das bedeutet: Der Schutz der Patienten würde noch weiter aufgeweicht. Doch auch das war noch nicht alles: Geplant ist bei dieser „Reform“ weiterhin, dass einer Prüfungskommission nur zehn Tage Zeit bleiben, um eine Studie zu genehmigen oder abzulehnen. Wenn sie diese Frist nicht einhalten kann, soll die Studie automatisch als angenommen gelten. Wenn Medikamente auf diese Weise in die Testreihen kommen, kann von Patientenschutz überhaupt nicht mehr die Rede sein.

ABER: Die Reform schreitet voran

Das Neueste vom Neuen kommt aus einer Ecke, von der man kritische Töne nicht unbedingt erwarten würde: Von der „Association of Aesthetic Practioners“ (AAP), einer, nach eigenem Bekunden, „medizinisch-wissenschaftlichen Vereinigung von (Fach)-Ärzten für Allgemeinmedizin, die im Rahmen ihrer rechtlichen Berechtigung in ihren Heimatländern oder international ästhetisch-chirurgisch tätig sind (Aesthetic Practitioners)“. Die Webseite der AAP brachte unlängst einen Artikel mit dem Titel „EU plant, Patienten Recht am eigenen Körper zu entziehen“. Hier geht es darum, dass die EU Einsatz und Verwendung  körpereigener Zellen zu Heilzwecken zu reglementieren versucht. Was also steckt genau dahinter?

Die Vorgeschichte ist bedrohlich. Focus-online (www.focus.de/gesundheit/videos/mit-nerven-aus-der-nase-querschnittsgelaehmter-kann-wieder-gehen_id_4218303.html) berichtete von einem Fall aus Großbritannien, wo ein 38-Jähriger aufgrund einer Messerattacke eine Querschnittslähmung davon trug, aber durch körpereigene (Nerven)-Zellen (aus der Nase), die ins Rückenmark verpflanzt wurden, seine Querschnittslähmung überwinden konnte. Was ist hier das Bedrohliche?

Hier werden Therapien entwickelt, die am Mainstream der Pharmaindustrie vorbeigehen und zudem noch heilen, also langfristige medikamentöse Therapien überflüssig machen. Der Erfolg der Operation war eine Sensation. Für eine Reihe von Querschnittsgelähmten ist ein Silberstreifen am Horizont erschienen. Aber die EU will dieser Bedrohung und dem Silberstreifen schnellstens ein Ende setzen. Warum und mit welcher Begründung? Antwort (schockierender kann sie nicht ausfallen): Körpereigene Zellen sind nicht zugelassene Medikamente und damit illegal.

Es gab Forschungszweige in der schulmedizinischen Wissenschaft, die in der jüngeren Vergangenheit ganz neue Behandlungsmethoden entwickelt hatte. Dazu zählte die Zelltherapie, die man als „Tissue-Engineering“ bezeichnet.  Maßgeblich an dieser Art der Forschung waren Kliniken beteiligt, die direkt mit ihren Patienten zusammenarbeiten. Und die meisten dieser Kliniken waren beziehungsweise sind forschungs- und nicht profitorientiert. Was bei so einer  Orientierung herauskommt, sind Konzepte für eine Heilung von Erkrankungen oder gesundheitlichen Schäden, wie zum Beispiel eine Querschnittslähmung. Übrigens: etwas ähnliches praktizierte Prof. Dr. Niehans mit seiner Frischzellentherapie bereits 1931 – aber das sei nur am Rande erwähnt.

Selbstverständlich steht die Pharmaindustrie bei solchen Bemühungen draußen vor der Tür, nicht weil man sie nicht reinlässt, sondern weil diese extrem individualisierte Therapieform keinen Reibach verspricht. Wenn dann noch eine Heilung durch diese individualisierte Therapie erfolgt, dann droht dem Prinzip der pharmazeutischen Gießkannentherapie (ein Medikament für Millionen Patienten) das endgültige Aus. Das ist die eben erwähnte Bedrohung.

Auf der anderen Seite ist ein Querschnittsgelähmter eine Quelle für eine Reihe von Einnahmen: Bedingt durch sein Leiden könnten bald ein paar Antidepressiva zur Anwendung kommen (da klingelt die Kasse). Der Kreislauf ist durch das lange Sitzen und Liegen aus der Balance (zum Beispiel Blutdruckspitzen), wogegen es wieder Medikamente gibt (da klingelt die Kasse). Es gibt Gießkannen-Medikamente in der Entwicklung (Cordaneurin), die bei Rückenmarksverletzungen das Neuwachstum von Nervengewebe stimulieren sollen (da klingelt die Kasse). Die Muskulatur kann unkontrollierbar zucken, wogegen es doch sicher auch Medikamente gibt (damit die Kassen weiter klingeln).

Eine individualisierte Therapie, bei der körpereigene Zellen die Funktion der Nerven im Rückenmark wieder herstellen und den Patienten heilen können, ist für Industrie und Politik ein unerträglicher Gedanke. Jetzt kommt der Neurologieprofessor Geoffrey Raisman aus London und zeigt aller Welt, dass genau das möglich ist.

Und genau diese Erfolge und die daraus entstehende Bedrohung sind der Grund für die Pharmaindustrie, hier einmal etwas für die Prävention zu tun. Und diese Prävention bezieht sich auf das frühzeitige Absägen dieses erfolgreichen Forschungs- und Behandlungszweigs. Und der Weg dazu führt über die Lobbyisten in der Europäischen Kommission. Und es wird auch höchste Zeit dazu. Denn die Erfolgsmeldung aus London scheint keine Eintagsfliege zu sein. Im Gegenteil. Die Methoden werden verfeinert, es stellt sich von OP zu OP mehr Wissen und Erfahrung ein und die Aussichten auf Heilungserfolg verbessern sich von OP zu OP.

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Auf der anderen Seite stehen die Produkte der Pharmaindustrie, die auf individuelle Erkrankungen und Bedingungen gar nicht eingehen können und wollen. Wer von diesen Produkten gesundheitlich profitieren kann, besitzt ein individuelles Muster, das zufällig auf das Produkt passt – ein Volltreffer im Lotto mit 7 Richtigen. Millionen andere Patienten, die kein Profil für die Produkte besitzen, zahlen unter anderem mit mehr oder weniger schweren Nebenwirkungen und damit unter dem Strich mit ihrer eh schon angeknacksten Gesundheit.

Um dieses Horrorszenario, was für jeden logisch denkenden Zeitgenossen untragbar erscheinen muss, zu verfestigen, entwickelte die Lobby erst einmal eine Art „Betriebsanleitung“ zur Erstellung von Vorschriften für die Rahmenbedingungen der Vermarktung solcher „Arzneimittel für neuartige Therapien“. Wer sich für dieses Machwerk interessiert, der klicke HIER. Es handelt sich hier um über 100 Seiten juristische Menschenverachtung.

Aber dieses Schriftstück ist nur eine Art Vorbereitung für den finalen Todesstoß. Immerhin, so wird man meine Kritik bemängeln können, ist in dieser Verordnung aus dem Jahr 2007 noch kein Verbot oder ähnliches von körpereigenen Zellen zu lesen. Die forschenden Mediziner blieben vom Inhalt dieses Papiers auch weitestgehend verschont, da ihnen noch einige Ausnahmeregelungen gewährt wurden. Somit war es ihnen möglich, auch nach der Veröffentlichung noch weiter zu forschen und individualisierte Therapien auszuprobieren. Damit vermied die EU Kommission geschickt groß angelegte Proteste und Bedenken.

Aber die Strategie der EU ist, Schritt für Schritt vorzugehen und ihre Ideen umzusetzen. Widerstand und Protest werden ignoriert und ausgesessen. Dann kommt der nächste Schritt. Und die Verordnung von 2007 hatte schon mal das Fundament für kommende Schritte verankert. Der nächste Schritt wurde durch die Pharmaindustrie getan. Die beklagte sich, dass die individualisierte, patientennahe Therapieform sie in einen Wettbewerbsnachteil bringt. Denn ihre Produkte müssen ein langwieriges und teures Zulassungsverfahren durchlaufen. Damit muss aus Sicht der Pharmaindustrie Schluss sein mit den Ausnahmeregelungen. Körpereigene Zellen als therapeutisches Mittel muss endlich zum Medikament umdefiniert werden. Und für diese Medikamente muss ein Zulassungsverfahren erfolgen, ganz wie bei den Arzneimitteln der Pharmafirmen auch.

Man muss sich diese völlig sinnfreie Forderungen einmal auf der Zunge zergehen lassen: Meine eigenen Zellen benötigen ein Zulassungsverfahren, bei dem schon heute feststeht, was unter dem Strich als Ergebnis herauskommt. Selbst wenn ich 1000 Probanden mit meinen Zellen behandeln könnte, dann wird es keinen Therapieerfolg geben, sondern nur Nebenwirkungen in Form von mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Abstoßungsreaktionen und ähnlichen Unverträglichkeiten. Denn das Zulassungsverfahren prüft nur Gießkannen-Produkte, keine individualisierte Therapieformen. Es gibt kein Zulassungsverfahren für diese Art der Therapieform. Man könnte seitens der Pharmaindustrie gleich verlangen, dass diese Therapieformen nur an Marsmenschen getestet werden dürfen, bevor sie eine Zulassung bekommen.

Für die Betroffenen bedeutet dies das Verschwinden des Silberstreifens am Horizont. Und das sind nicht wenige: Chronisch Kranke, die an ALS, Arthrose, Multipler Sklerose, Durchblutungsstörungen, Sklerodermie und so weiter leiden und durch eine Stammzelltherapie mit ihren körpereigenen Stammzellen Besserung – vielleicht sogar Heilung – erfahren könnten. Ein schlichtweg entsetzlicher Gedanke, dass alle diese Kranken plötzlich keine zahlende Kundschaft bei der Pharmaindustrie mehr sind! Da geht es um Milliarden Euros…

Für die Menschen allgemein bedeutet es, dass sie keine freie Verfügbarkeit über ihre eigenen Körperzellen mehr besitzen. Der Mensch ist mit dieser Verordnung zu einem Klumpen von illegalen Medikamenten geworden.

Für die EU aber ist das Leiden der Betroffenen Nebensache. Hauptsache ist der „Investorenschutz“ der Pharmaindustrie. Und das Recht der Patienten auf eine effektive Behandlung und Heilung liegt schon seit langem in der Gosse.

Mit dieser Verordnung werden außerdem Weichen für die Zukunft gestellt. Durch sie erhält die Pharmaindustrie faktisch und durch die Hintertür das Monopol auf die Verwendung meiner eigenen Zellen. Damit erschließen sich in naher Zukunft noch andere lohnende Geschäftsfelder. Und da Skrupel schon heute ein Fremdwort in diesen Kreisen ist, wird die Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein „Schlachtfest“ werden, wo der Patient zur Schlachtbank geführt wird, wenn es die anvisierten Gewinne einfährt.

Die AAP hat zu diesem Thema eine bemerkenswerte Stellungnahme veröffentlicht: Stellungnahme der AAP zum Reflection Paper der EMA zu Arzneimitteln für neuartige Therapien. Und in diesem Fall muss ich meinen ganzen Respekt vor diesem Zweig der Schulmedizin zollen, die sich so beherzt gegen diese Sauerei stemmt.

Fazit

Die Pharmaindustrie entblödet sich, körpereigene Zellen nur deswegen einer Zulassungspflicht zu unterwerfen, weil sie ihren Profit eingeschränkt sieht. Denn wie können körpereigene Zellen unsicher sein? Wenn dem so wäre, dann gäbe es das Wort „Gesundheit“ nicht. Dann hätten wir ständig unter den Nebenwirkungen unserer eigenen Körperzellen zu leiden. Und das ist evidenzbasiert nicht der Fall. Und warum werden plötzlich evidenzbasierte = erfolgreiche Therapiekonzepte der Schulmedizin abgelehnt, wo doch die „Evidenzbasiertheit“ der heilige Gral in diesen Kreisen ist?

Ich denke, dass diese Farce auch dem Letzten die Augen öffnen sollte, dass die Pharmaindustrie mit ihren Bemühungen anscheinend nichts anderes als sich selbst im Visier hat. Und das Argument mit der „Evidenzbasiertheit“ können wir ganz getrost vergessen. Denn die Evidenz, Signifikanz usw. wird wohl auch nur dann hervorgeholt, wenn es einem in den eigenen Kram passt. Und dieser “Kram” heißt “shareholder value” – auf deutsch: Profit um jeden Preis.

Wer sonst noch unterwirft menschliches Leid dem Interesse an Profit? Da fallen mir bestimmte sizilianische Organisationen ein…

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Beitragsbild: pixabay.com – Pexels

Anmerkung: Dieser Artikel wurde im April 2014 erstellt und im November 2014 grundlegend mit neuen Fakten ergänzt.