DAZ.online, das Internetportal der Deutschen Apotheker Zeitung, weiß in seiner September-Ausgabe von einem neuen medizinischen Durchbruch zu berichten: Fumarsäure ist das neue Zauberwort für die Behandlung der Multiplen Sklerose (MS).

MS ist eine langsam verlaufende und nicht heilbare Erkrankung des zentralen Nervensystems, deren Ursache immer noch unbekannt ist. Man vermutet jedoch, dass es sich hier um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der die gegen die Myelinscheiden der Nervenzellfortsätze gerichteten Antikörper eine chronische Entzündungsreaktion auslösen. Dies führt dann mit der Zeit zur Auflösung der Myelinscheiden und somit zum Untergang der Nervenzellen.

Unter den neurologischen Erkrankungen ist MS, neben der Epilepsie, die häufigste Komplikation bei jungen Erwachsenen. In Deutschland sind etwa 149 von 100.000 Einwohnern (122.000 insgesamt) betroffen. Die Behandlung von MS richtet sich heute danach, ob es sich hier um einen schubförmigen oder chronisch progredienten (langsam fortschreitenden) Verlauf handelt. Beim schubförmigen Verlauf wird eine „immunmodulatorische“ Therapie eingesetzt.

Mittel der ersten Wahl ist Glatirameracetat, das eine süffisante Eigenschaft mit der MS teilt: die evidenzbasierte schulmedizinische Wissenschaft setzt bei einer Erkrankung, deren Ursache nicht bekannt ist, eine Substanz ein, dessen Wirkmechanismus ebenfalls nicht bekannt ist. Bekannt ist nur, dass Glatirameracetat ein Gemisch synthetischer Polypeptide (kurze Eiweißverbindungen) ist und in seiner Zusammensetzung den Komponenten der Myelinscheiden ähnelt. Es wirkt als eine Art Dummy, der die Auto-Antikörper an sich bindet und somit von dem eigentlichen Ziel des Angriffs, den Myelinscheiden, ablenkt – so die Theorie.

Glatirameracetat ist jedoch nicht der Segen, den man sich für die Kranken wünscht. Es muss jeden Tag subkutan (unter die Haut) gespritzt werden, was in Rötungen, Brennen und Verhärtungen der Injektionsstellen enden kann. Es kann zu Atemnot, Beklemmungen, Schweißausbrüchen, Herzrasen etc. kommen, die die Verträglichkeit der Substanz beeinträchtigen. Interferone sind ebenfalls Mittel der ersten Wahl.

Sollten diese Varianten nicht erfolgreich sein, dann werden im Rahmen der Eskalationstherapie Immunsuppressiva eingesetzt, die ebenfalls in der Chemotherapie zu Hause sind. Mit von der Partie sind z. T. Präparate, wie Natalizumab, die aufgrund schwerster Nebenwirkungen erst vom Markt genommen werden mussten, nur um dann ein Jahr später (2006) wieder erneut zugelassen zu werden. Man sieht, dass das evidenzbasierte Unwissen über die Ursachen der MS zu nicht so lustigen pharmazeutischen Kapriolen führen kann.

Die chronisch progrediente Verlaufsform greift fast augenblicklich auf Präparate zurück, die in der Eskalationstherapie der schubförmig verlaufenden MS zum Einsatz kommen. Dies ist vor allem Mitoxantron, ein Zytostatikum zur Behandlung einer Reihe von Krebsformen. Nebenwirkungen: Knochenmarktoxizität, Schleimhautschädigungen, erhöhte Infektionsneigung aufgrund der immunsuppressiven Wirksamkeit, Herzschädigungen, Herzrhythmusstörungen usw.

Unter dem Strich lässt sich feststellen, dass die schulmedizinische Kenntnis über MS noch so mangelhaft ist, dass sie nicht anders kann, als auf ihre hochtoxischen (=giftigsten) Präparate zurückzugreifen. Aber auch hier weiß niemand, ob und wie diese Medikamente den Krankheitsverlauf bremsen können oder nur zusätzlich zum Leidensdruck des Kranken auch noch die Nebenwirkungen bei ihm erhöhen.

Die Alternative

Vor diesem Hintergrund erscheint nun eine neue Substanz, von der sich die Neurologen sehr viel zu versprechen scheinen: die Fumarsäure. Aber was ist Fumarsäure? Gibt es einen Nobelpreis für ihren Erfinder? Ist es rezeptpflichtig und welche Firma stellt es her?

Die Antwort: nichts von dem trifft zu. Die Fumarsäure ist eine in der Natur vorkommende Substanz, die in größeren Mengen in einer Reihe von Pflanzen, Pilzen und Flechten vorkommt. Die Säure kommt praktisch in jedem Organismus in mehr oder weniger großen Konzentrationen vor. Sie ist ein Zwischenprodukt bei der Energiegewinnung der Zelle (Zitratzyklus), des Harnstoffzyklus, durch hydrolytischen Abbau der Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin und anderen. Wir haben es hier also mit einem Wirkstoff zu tun, der in die Kategorie „alternativmedizinisches Handwerkzeugs“ zu fallen scheint.

Diese alternativ anmutenden Ansätze scheinen bei den Neurologen und Dermatologen durchaus üblich zu sein. Denn die Fumarsäure wird seit ca. 10 Jahren mit gutem Erfolg gegen die Schuppenflechte eingesetzt. Wie die MS ist auch die Schuppenflechte eine Autoimmunerkrankung. Dies brachte die Mediziner auf die Idee, dass die Fumarsäure bei der MS ähnlich gute Wirksamkeit haben könnte wie bei der Schuppenflechte (Hautärzte gaben den entscheidenden Tipp).

Bei der Suche nach den Wirkmechanismen stellte sich heraus, dass die Fumarsäure und ihre Salze nicht auf einer Immunsuppression beruhte, wie dies von den neu entwickelten Medikamenten gegen MS (weiter oben schon beschrieben) bekannt ist. Die Fumarsäure scheint ein besonders potentes Antioxidans zu sein, dass die freien Radikale, die durch den chronischen Entzündungsprozess entstehen, abfängt und somit die Nervenzellen vor Schädigungen schützt (siehe auch: Fumaric acid und its esters: an emerging treatment for multiple sclerosis with antioxidative mechanism of action und Mechanisms of Oxidative Damage in Multiple Sclerosis and Neurodegenerative Diseases: Therapeutic Modulation via Fumaric Acid Esters).

Dass es sich hier nicht nur um vage Vermutungen handelt, sondern um eine so gut wie gesicherte Erkenntnis, das zeigt die Studienflut, die zu diesem Thema durchgeführt worden ist. Aber auch die „Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e.V.“ zeigt sich fast überschwänglich optimistisch. Auch hier werden die beiden Arbeiten zu diesem Thema zitiert, die in der DAZ.online erwähnt wurden.

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Die Studien

Aber werfen wir doch einmal einen Blick auf diese und andere Arbeiten und beurteilen die Wirkung und Verträglichkeit im Hinblick auf die bislang eingesetzten Präparate.

Fox et al.
Mellen Center for Multiple Sclerosis Treatment and Research, Cleveland Clinic, Cleveland, OH 44195, USA.

„Placebo-controlled phase 3 study of oral BG-12 or glatiramer in multiple sclerosis.
N Engl J Med. 2012 Sep 20;367(12):1087-97.

Bei dieser Arbeit wurde nicht nur Placebo eingesetzt, sondern die Fumarsäure mit dem Mittel der ersten Wahl, Glatirameracetat, verglichen. Außerdem wurde eine zweimalige tägliche Gabe von 240 Milligramm Fumarsäure mit einer dreimaligen verglichen. Die Zahl der Teilnehmer war 1430. Beobachtet wurden die Anzahl an auftretenden Schüben für einen Zeitraum von 2 Jahren.

Nach 2 Jahren zeigte sich, dass die Anfallshäufigkeit  unter der zweimaligen und dreimaligen Gabe von Fumarsäure und Glatirameracetat signifikant geringer war als unter Plazebo. Untersuchungen durch ein MRI (Magnetresonanztomographie) zeigte deutlich weniger Schädigungen von Nervenzellen unter der zwei- und dreimaligen Fumarsäuregabe und Glatirameracetat im Vergleich zu Plazebo.

Ein direkter Vergleich zwischen der Fumarsäure und Glatirameracetat zeigte leichte Vorteile bei der Anfallshäufigkeit und der auftretenden Läsion für die Fumarsäure zwei- bzw. dreimal tägliche Gabe. Die Nebenwirkungen traten häufiger in den Behandlungsgruppen auf als in der Plazebogruppe. Dies waren Flush, gastrointestinale Unverträglichkeiten in der Fumarsäure-Gruppe und die weiter oben schon beschriebenen Injektionsprobleme bei Glatirameracetat. Es wurden jedoch keine malignen Neubildungen oder erhöhte Infektionsneigungen beobachtet, die für die Präparate der Eskalationstherapie typisch sind.

Die Autoren schlossen aus ihren Beobachtungen, dass Glatirameracetat und Fumarsäure, beide Dosierungsformen, in der Lage sind, im Vergleich zu Plazebo signifikant die Anfallshäufigkeit bei der schubförmigen Verlaufsform von MS zu senken.

Gold et al.
Department of Neurology, St. Josef-Hospital/Ruhr-University Bochum, Bochum, Germany.

„Placebo-controlled phase 3 study of oral BG-12 for relapsing multiple sclerosis.
N Engl J Med. 2012 Sep 20;367(12):1098-107.

Eine praktisch zum gleichen Zeitpunkt erschienene Arbeit, ebenfalls eine randomisierte, doppelblinde, Plazebo kontrollierte Phase-3-Studie, verglich bei 1234 Patienten mit schubförmiger MS die entzündungshemmende und zytoprotektive Wirksamkeit von Fumarsäure. Auch hier wurden zwei- oder dreimal täglich 240 Milligramm Fumarsäure oder Plazebo gegeben. Nach 2 Jahren wurde die Anfallshäufigkeit bestimmt und ein Befund per MRI-Kontrolle erhoben.

Wie in der Studie zuvor zeigte sich eine signifikant geringere Anfallshäufigkeit in den beiden Fumarsäure-Gruppen als in der Plazebogruppe. Ein ähnliches Bild ergab sich bei der MRI-Kontrolle, die das Ausmaß an Nervenschädigungen feststellte. Die Nebenwirkungen traten bevorzugt in den beiden Fumarsäure-Gruppen auf und entsprachen im Wesentlichen denen der zuvor diskutierten Studie.

Da alle folgenden Arbeiten älteren Datums sind, möchte ich hier nur die Ergebnisse dieser Arbeiten im Hinblick auf Wirksamkeit und Verträglichkeit zitieren:

Die Autoren vermuten, dass Fumarsäure und 2 weitere Substanzen möglicherweise noch effektiver sind als die zur Zeit gebräuchlichen Medikamente. Auch bei den Fragen der Verträglichkeit sehen sie Vorteile.

Diese Arbeit ist eine Zusammenfassung älterer Arbeiten zu diesem Thema. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die Fumarsäure eine ideale Kombination von entzündungshemmenden und klinisch relevanten neuroprotektiven Eigenschaften zu sein scheint. Darüber hinaus bringt sie den Vorteil mit sich, oral verfügbar zu sein und nicht injiziert werden zu müssen.

Diese Arbeit bezieht sich auf zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossene Phase-2-Studien (2009). Auch in diesen Arbeiten wurde im Vergleich zu Plazebo eine signifikante Verminderung von Nervenzellschäden nach einer 24-wöchigen Behandlungsdauer beobachtet.

Andere ältere Arbeiten mit praktisch den gleichen Aussagen zu Wirkung und Nebenwirkung finden sich unter:

Fazit

Erst bei den Dermatologen und jetzt bei den Neurologen scheint eine natürlich vorkommende Substanz, leicht und preiswert zu produzieren, es geschafft zu haben. Fumarsäure und seine Derivate zeigen mindestens eine ebenso gute Wirkung wie das bislang eingesetzte Mittel der ersten Wahl, Glatirameracetat, sind oral verfügbar und haben eine Verträglichkeit, die man sonst nur aus dem Bereich der alternativen Behandlungsformen kennt. Wenn man auf das Wohl der Patienten aus ist, dann hört auch plötzlich das Gezeter um die „evidenzbasierte Wissenschaft“ auf, deren sich die Schulmedizin immer wieder rühmt. Ich habe zumindest in den gerade zitierten Arbeiten und Beiträgen keine „evidenzbasierte“ Infragestellung von Fumarsäure bei der Behandlung von MS finden können.

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