Da gibt es Leute, die behaupten, dass man eine Erkältung gleich zweimal bekommen kann. In der vergangenen Grippe-Saison 2017 / 2018 war es besonders heftig. Zeitweise konnten einige Betriebe nur noch mit "Notbesetzungen" arbeiten, weil ein großer Teil der Belegschaft darniederlag.
Erkältungen kann man rasch nacheinander bekommen - das ist klar. Aber gleichzeitig? Das hört sich mehr nach einer Räuberpistole an als nach „evidenzbasierter Realität“. Aber dennoch scheint es dieses Phänomen in der Realität zu geben.
In der Medizin gibt es das Phänomen der „Koinfektion“. Darunter versteht man eine zweifache (oder mehrfache) Infektion, die von (zwei) verschiedenen infektiösen Keimen gleichzeitig verursacht wird. Bei einer Erkältung handelt es sich um die gleichzeitige Infektion mit verschiedenen Viren, die diese Koinfektion verursachen.
Bei diesem Phänomen muss es sich nicht notwendigerweise um nur zwei Keime handeln. Vielmehr gibt es Grund zu der Annahme, dass bei einer schweren Erkältung mehr als nur ein Virus und auch mehr als nur zwei verschiedene Viren an der Infektion beteiligt sind. Denn es gibt mehr als 100 verschiedene Viren, die eine Erkältung provozieren können.
Zwar gibt es das Phänomen der „Kreuzimmunität“. Darunter versteht man einen Immunschutz nach durchgestandener Infektion gegen einen Erreger, der sich auch auf andere Erreger ausweitet, obwohl diese an der Infektion nicht beteiligt waren. Für viele Virus-Erreger jedoch ist der Aufbau einer Kreuzimmunität die Ausnahme, so dass eine geschwächte Immunlage diese Koinfektionen begünstigen kann.
Genauere Daten und Untersuchungen zu Koinfektionen kommen von Studien mit relativ gefährlichen viralen Erregern, wie zum Beispiel Hepatitis und HIV. Diese Arbeiten zeigten allerdings widersprüchliche Ergebnisse. Denn Koinfektionen können den Verlauf einer Infektion verschlechtern (was der allgemeinen Erwartung entspricht), aber auch verbessern oder überhaupt nicht beeinflussen (was auf den ersten Blick unverständlich erscheint). Wie und warum dies so geschieht, das hängt von der Art der beteiligten Viren ab.
Ein Beispiel für eine günstig verlaufende Koinfektion und für eine sehr ungünstig verlaufende Koinfektion: Bei einer HIV-Infektion bewirkt eine Koinfektion mit den beiden Haupttypen HIV-1 und HIV-2 eine signifikante Verlangsamung des Krankheitsverlaufs. Eine Koinfektion von HIV und Hepatitis C Viren dagegen beschleunigt und verschlechtert den Krankheitsverlauf.
Bei einem Befall mit Influenza-Viren kommt es zu einer Infektion der Atemwege, deren Symptomatik ähnlich verläuft wie bei einer gewöhnlichen Erkältung. Hier ist eine Koinfektion mit Influenza-A und -B, die beiden Hauptvertreter der Grippeviren, relativ selten. In weniger als zwei Prozent der Fälle gibt es eine solche Koinfektion, die aber auf den Krankheitsverlauf so gut wie keinen Einfluss zu haben scheint.
Das Studium von Koinfektionen bei Erkältungen ist keine einfache Angelegenheit, da hier eine große Zahl von Viren infrage kommt, die eine Erkältung provozieren können. In den letzten Jahren jedoch haben Fortschritte in der Molekulargenetik es den Wissenschaftlern ermöglicht, mehr über Rhinoviren zu erfahren. Diese Viren sind hauptverantwortlich für Schnupfen und Erkältungen.
Im Jahr 2009 konnten Wissenschaftler die Sequenzierung des gesamten genetischen Materials von 99 bekannten Stämmen von Rhinoviren abschließen. Dabei fanden sie heraus, dass Koinfektionen mit mehreren Stämmen von verschiedenen Rhinoviren bei Erkältungen und Schnupfen eher die Regel als die Ausnahme zu sein scheinen. Sie fanden dabei auch heraus, dass diese Koinfektionen für die beteiligten Viren die Wahrscheinlichkeit erhöhten, zu mutieren und neue Stämme zu bilden.
Es gibt inzwischen eine Reihe von diagnostischen Verfahren, die auf Erkältungsviren testen können und kommerziell verfügbar sind. Im Jahr 2013 wurden diese Tests von Ärzten benutzt, um 225 Kinder in einem Kindergarten zu untersuchen.
Rund die Hälfte aller Kinder wiesen mehr als nur einem Virus auf als sie erkranken. Die andere Hälfte zeigte nur einen Virus als Verursacher der Erkältung. Aber Kinder mit mehreren Koinfektionen waren vom Krankheitsbild her gesehen nicht kränker als Kinder, die nur mit einem Virus infiziert waren. Der einzige Unterschied war, dass die Kinder mit Koinfektionen etwas länger krank blieben als die Kinder mit nur einem Virus als Auslöser.
Es gibt inzwischen weitere Arbeiten zu diesem Thema, wie zum Beispiel eine Arbeit (Metaanalyse) aus dem Jahr 2016, die diese Beobachtungen aus dem Jahr 2013 bestätigt haben.
Fazit
Man kann nicht nur zwei Erkältungen auf einmal bekommen, sondern es scheint die Regel zu sein, dass eine Erkältung als Koinfektion abläuft. Aber es scheint auch die Regel zu sein, dass eine Koinfektion nicht notwendigerweise doppelt oder mehrfach so schlimm verläuft wie eine einfache Infektion mit nur einem Stamm. Der einzige Unterschied, der sich hier möglicherweise bemerkbar macht, ist, dass man bei einer Koinfektion etwas länger „zu leiden hat“ als dies bei einer einfachen Infektion der Fall ist.