Die Vielzahl der Wahlen zum Bundestag, zu 16 Landesparlamenten und zu tausenden von Kreistagen, Stadt- und Gemeindevertretungen erweckt zwar den Eindruck, die Bürger hätten unheimlich viel zu sagen, aber der Schein trügt. Wer seine Stimme abgibt, hat nichts mehr zu sagen. Das darf (und soll) natürlich im doppelten Sinn verstanden werden. Wir sollten jedoch wissen, warum die Dinge sind, wie sie sind. Wo die meisten der Bürger nicht durchblicken ist: nicht etwa die undemokratische Staatssimulation, es ist das Wahlsystem, und das Wahlsystem geht mit dem Wahlgesetz Hand in Hand. Auf 75% der Pöstchen im Bundestag, hat der Bürger nämlich überhaupt keinen Einfluss, selbst wenn ein Kandidat prozentual im Keller liegt. Durch Direktmandate und Listenplätze wählen Parteien ihre Sprösslinge selbst aus.
Dort wird nicht nach Gemeinwohlorientierung der Figuren bewertet, sondern nach Proporz. Wer am wenigsten Rückrad hat, gewinnt. In den sogenannten Hochburgen der Union, oder der SPD kann die dominierende Partei den Bürger ihren Wahlkreisabgeordneten diktieren. Und wer im Wahlkreis verliert, kommt nicht selten doch ins Parlament. Die Parteien überlisten den Bürger, indem sie ihre Wahlkreiskandidaten über die Liste absichern. Denn wer auf den starren – nicht vom Wähler zu beeinflussenden – Listen ganz weit oben steht, dem kann der Wähler auch nicht mehr gefährlich werden. Könnte man wirklich auswählen, ohne dieses unterjochte Wahlsystem, würden nicht wenige „Repräsentanten“ sogleich hinweggefegt.
Die Wähler wissen nicht einmal, wem ihre Zweitstimme zum Einzug ins Parlament verhilft, obwohl dies (einschließlich der sogenannten Überhangmandate) die Mehrheit der Abgeordneten ist. Und welcher Wähler schaut schon in die Landeslisten, um sich nach Mister X und Misses Y zu erkundigen. Es wäre aber auch Zeitverschwendung, weil nicht erkennbar ist, wer nach Abzug der Direktkandidaten noch übrig ist. Zeitverschwendung auch deswegen, weil der Wähler ohnehin keinen Einfluss auf die Listen hat. Um dieses Dilemma verständlicher zu machen, bediene ich mich an einem Beispiel aus der Wirtschaft:
Kein privates oder öffentliches Unternehmen stellt Personen (Mitarbeiter/Angestellte) ein, die es nicht vorher auch gründlich auf ihre Eignung geprüft hat. Nur das Großunternehmen „Bundesrepublik Deutschland“ mit mehr als 80 Millionen Einwohnern liefert sein politisches Schicksal Personen aus, die es nicht ausgewählt hat und deren Namen es oft nicht einmal kennt. Die mutierte Rolle der Abgeordneten ändert auch die Geschäftsgrundlage für ihre Bezahlung. Was sich ändert, sollte sich jeder vor Augen führen: Wer nicht von den Bürgern, sondern von der Partei gewählt und von ihrer fortbestehenden Gunst existenziell abhängig ist, hat seiner Partei für die Verschaffung des Pöstchens dankbar zu sein und als Gegenleistung „Parteisteuern“ zu entrichten.
Ist da nicht ein bisschen Wahrheit?