Le Pen und Macron – wer ist das geringere Übel?
Hätte Le Pen als Präsidentin dasselbe gesagt, getan und in Gesetze gegossen wie Macron in der vergangenen Amtszeit, wären Aufschreie durch Frankreich und Europa gegangen: „Das ist faschistisch! extremistisch! rassistisch!“
Die Franzosen befinden sich im Wahl-Dilemma. Im zweiten Wahlgang entsteht für viele wahlberechtigten Franzosen alle fünf Jahre die Situation, für einen Kandidaten stimmen zu müssen, den sie sich nicht als Präsidenten wünschen, den sie aber für die weniger schlimme Person im Amt halten. Der zweite Wahlgang wird zum strategischen Akt, um politische Überzeugungen geht es nicht mehr. So haben zum Beispiel im Jahre 2002 viele Franzosen ohne Überzeugung für Jacques Chirac gestimmt, um unbedingt Jean-Marie Le Pen als Präsident zu verhindern. Am kommenden Sonntag wählt man ohne Überzeugung Emmanuel Macron, um Marine Le Pen zu vermeiden oder man wählt ohne Überzeugung Marine Le Pen, um Emmanuel Macron zu vermeiden. Oder – und diese dritte Möglichkeit wird von den meisten Franzosen als politischer Protestakt betrachtet – man enthält sich, verweigert die Wahl.
33 % der wahlberechtigten Franzosen blieben der Wahl am 10. April 2022 fern. Man muss bis ins Jahr 2002 zurückgehen, um eine noch höhere Wahlverweigerung zu finden, beim eben bereits erwähnten Duell Jacques Chirac gegen Jean-Marie Le Pen gingen 38 % nicht zur Urne.
Bei den Regionalwahlen im Juni 2021 gingen 65,7 % nicht wählen, was medial als scharfe Kritik an der Regierung Macron gewertet wurde. Macron lästerte damals, dass die Franzosen wohl vorzögen, an den Strand zu fahren, anstatt ihren Bürgerpflichten nachzukommen.