Vitamin D: Allergisch auf Prophylaxe
Vor 50 Jahren wurde die Vitamin-D-Prophylaxe beim Säugling eingeführt. Dies ermöglichte die Verwendung von Kuhmilch zur Säuglingsernährung. Früher wurde als Vitamin-D-Lieferant vermehrt Lebertran verordnet, heute sind es Tabletten. Damit gelang es, die damals häufige Rachitis (also mangelhafte Entwicklung des Skeletts, sichtbar an der so genannten „Trichterbrust") fast vollständig zu verhindern.
Allerdings gab es auch in der Vergangenheit allerlei warnende Stimmen, vor allem weil es sich beim D mitnichten um ein Vitamin handelt, sondern um ein Hormon. Dieses Hormon wird unter dem Einfluss des Tageslichts (UV-Anteil) aus einer cholesterinartigen Vorstufe gebildet. Die Zufuhr aus der Nahrung spielt kaum eine Rolle – außer bei den Eskimos, die aufgrund ihrer dunklen Haut und der fast vollständigen Bekleidung auf eine Zufuhr aus Meereslebewesen angewiesen sind.
Das Hormon „Vitamin D“ hat wie die meisten Hormone nur eine schmale therapeutische Breite, das heißt, es muss präzise dosiert werden, um Mangel oder Überschuss zu vermeiden. Aus diesem Grund wird seit langem gefordert, dass Vitamin D nur nach vorheriger Bestimmung des D-Status im Blut verordnet werden darf. Die Vitamin D-Vergiftung ist nur mit erheblicher klinischer Erfahrung vom Mangel, sprich einer Rachitis zu unterscheiden. Aufgrund dieser Probleme unterliegt die Vitamin-D-Bildung im Körper strengster Kontrolle. Deshalb kann es durch UV-Strahlung oder Sonnenlicht niemals zu einer Überdosis kommen. Vitamin D ist nicht umsonst ein hochwirksames Rattengift.
Anlass: Ein Tierversuch mit Mäuslein aus dem Jahre 2003 zeigte, dass es unter Gabe von Vitamin D zu einer Verschiebung jener Immunfaktoren (so genannte T-Helferzellen-subsets) kommt, die typisch für die Entstehung von allergischen Reaktionen sind. Ein Jahr später wurde dies am Menschen im Rahmen der so genannten Northern Finnland Birth Cohort 1966-Studie überprüft. Sie erfasste über einen Zeitraum von 30 Jahren bis zu 7000 Menschen, die 1966 geboren wurden.
Ergebnis: Das ganze erwies sich als Volltreffer. Es zeigte sich, dass die Häufigkeit von allergischen Reaktionen wie Allergien, Asthma oder Heuschnupfen umso häufiger auftraten, je fleißiger sie von ihren Müttern mit Vitamin D-Tabletten versorgt worden waren. Auch bei Einbeziehung anderer Faktoren in das Modell änderte sich am Ergebnis nichts Wesentliches.
Dieses Ergebnis könnte sogar einen Teil der beobachteten Schutzeffekte bei Kindern von Bauernhöfen erklären. Deren Mütter haben einfach keine Zeit – so eine Studie der GSF in Neuherberg bei München – ihre Kinder regelmäßig mit vorbeugenden Gesundheitsschnickschnack voll zu stopfen. Die Kids spielen stattdessen draußen.
Fazit: Man wird sich auch bei bewährten Prophylaxemaßnahmen daran gewöhnen müssen, dass auch sie nicht zum Nulltarif zu haben sind, sondern gleichermaßen auch eine etwas dunklere Seite haben können. Wer in Sachen „Vitamin D“ auf Nummer sicher gehen will, sollte wissen, dass kleine Kinder täglich an die frische Luft – aber nicht die pralle Sonne – gehören. Und das bei (fast) jedem Wetter. Dennoch kann auch dann im Einzelfall die Gabe des Hormons „Vitamin D“ in einer geeigneten Dosis sinnvoll oder notwendig sein. Ein eventueller Vitamin-D-Mangel ist kein Problem, da die klinischen Folgen durch Gabe von „D“ vollständig verschwinden. Eine Überdosis kann jedoch bleibende Schäden hinterlassen. Schon zu Beginn der Rachitis-Prophylaxe gab es kritische Stimmen. Sie konnte man vor 50 Jahren der Deutschen Medizinischen Wochenschrift folgende Stellungnahme entnehmen: „Das Wissen darum, dass es Kinder gibt, die überempfindlich auf Vitamin D ansprechen, fordert dazu auf, die wahllose Verabfolgung von Vitamin D an gesunde Kinder zu unterlassen.“
Das sollte aber nicht dazu verleiten, das Hormon generell für „gefährlich“ zu halten. Ein ausreichend hoher Vitamin-D-Spiegel durch Tageslicht ist nicht nur für Säuglinge und Kleinkinder von gesundheitlicher Bedeutung. Eine Reihe von Untersuchungen schreiben diesem Stoff eine schützende Funktion bei einer Reihe von Krankheiten wie Diabetes zu. Es scheint ein großer Unterschied zu sein, ob die Bildung des Stoffes im Körper durch Tageslicht im Körper selbst erfolgt oder ob Tabletten eingeworfen werden. Bei der natürlichen Bildung von Vitamin D durch Tageslicht sind nachteilige Effekte ausgeschlossen, da dieser Prozess aufgrund der toxischen Risiken vom Körper exakt kontrolliert wird.
Vielleicht noch ein Hinweis: Eine Reihe von Kosmetika wie beispielsweise Tagescremes enthalten teilweise Sonnenschutzfaktoren von 20 und mehr. Sie blockieren damit die körpereigene Vitamin D-Bildung.
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